Waldbaden: Plantschen auf Japanisch

Waldbaden: Plantschen auf Japanisch



Der Beitrag als Podcast


Waldbaden ist ein Trend, der in den letzten Jahren verstärkt aus Japan nach Deutschland übergeschwappt ist. Der Grund dafür: Waldbaden ist gesund. Der Aufenthalt im Wald hilft gesunden Menschen gesund zu bleiben und unterstützt bei manchen Krankheiten auf dem Weg zur Genesung. Was es damit genau auf sich hat, erklärt Nancy Koller vom Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik bei einem Waldgespräch.

Gesprächspartnerin Nancy Koller,
Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik, Technische Universität München


Waldseiten: Heute geht es um „Shinrin Yoku“, das ist japanisch und es steht für „ein Bad in der Atmosphäre des Waldes nehmen“ oder „Eintauchen in die Wald Atmosphäre“. Kurz gesagt heute geht es um das Thema Waldbaden. Zum Thema „Waldbaden“ haben wir eine kompetente Gesprächspartnerin zu Gast bei den Waldseiten: Nancy Koller von der Technischen Universität München. Danke, dass du heute mit mir im Wald planschst.

Koller: Ja, schön mit dir unterwegs zu sein.

Waldseiten: Nancy, Du arbeitest bei Professor Dr. Michael Suda am Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik. Zusammen mit deiner Kollegin Frau Dr. Anika Gaggermeier erforscht und entwickelst du am Projekt „Waldnutzung zu Gesundheitszwecken“. Kannst du vielleicht ganz kurz zusammenfassen, was ihr eigentlich untersucht?

Koller: Ja, gerne. Wir analysieren den Megatrend Waldbaden und versuchen für die Forst-Branche Informationen zu diesem Thema zusammenzustellen.

Waldbaden: Wald und Gesundheit, das klingt für mich – wir haben ja gerade immer noch die Corona Situation – wie ein ziemlich relevantes Thema. Wie ist das? Gehen die Deutschen in diesen Corona Zeiten vielleicht sogar öfter in den Wald?

Koller: Ja. Im letzten Frühjahr haben wir eine Befragung durchgeführt, online natürlich, von Waldbesuchern. Dabei kam tatsächlich raus, dass die Leute häufiger in den Wald gehen und auch Leute, die das vielleicht vorher nicht so oft gemacht haben.

Waldseiten: Und warum gehen die Leute raus in den Wald?

Koller: Man möchte ja meinen, dass Alle im Lockdown ihre Wohnungen und ihren anstrengenden Alltag verlassen haben und in dafür in den Wald geflüchtet sind. Nein, es ist eher so, dass der Wald die Leute anzieht. Der Ausgleich oder die Ruhe, die sie da finden, ziehen sie regelrecht in den Wald hinein.

Waldseiten: Dieses „Neuentdecken“ der Wälder, dieses vielleicht auch das Corona bedingte Neuentdecken: Handelt es sich dabei bereits um „Waldbaden“? Was macht Waldbaden aus?

Koller: Man muss ehrlich sagen, dass es ein Spaziergang – der natürlich auch sehr gesundheitsförderlich sein kann, allein dadurch, dass man sich bewegt und einen Ausgleich hat – jetzt noch nicht Waldbaden ist. Das ist zwar auch gesund, aber Waldbaden ist mehr als nur ein Spaziergang. Waldbaden ist eher eine gezielte Achtsamkeitsübung oder eine Reihe von Achtsamkeitsübungen in der freien Natur.

Waldseiten: Dass man vielleicht auch genau hinhört? Wir haben hier grade zwitschernde Vögel um uns herum: Dass man auch auf so etwas verstärkt achtet?

Koller: Ja, es ist im Grunde ein Eintauchen in die Wald-Atmosphäre. Was bedeutet das im Einzelnen? Es ist ein bewusstes Auseinandersetzen mit seiner Umgebung und sich selbst in dieser Umgebung.

Shinrin yoku: Eintauchen in die Wald-Atmosphäre


Waldseiten: Ich fühle mich alleine dadurch, dass wir uns hier im Freien bewegen, ziemlich wohl. Die frische Luft tut gut. Irgendwann in nächster Zeit treiben auch die Blätter aus, dann wird auch die „Farbe der Hoffnung“, grün, wiederkommen. Das wirkt sich sicher alles auf die Psyche aus? Wie genau wirkt dieses Waldbaden?

Koller: Das ist eine Summe aus verschiedenen Faktoren, die zusammenkommen. Zum einen ist es natürlich, wie du gerade gesagt hast: „Ich bin mal weg“. Ich bin raus aus meinem Alltag in einer neuen, schönen Umgebung. Was wir beobachten oder was sich in den Studien gezeigt hat, ist, dass diese besondere Atmosphäre, die besonderen klimatischen Verhältnisse im Wald, die höhere Luftfeuchtigkeit, die Terpene, die aus Nadelbäumen in der Luft abgegeben werden, das alles hat eine gesundheitliche Wirkung auf uns. Man kann beobachten, dass der Cortisol-Spiegel, also der Stresspegel von Menschen sinkt, die regelmäßig im Wald spazieren gehen. Auch die Pulsfrequenz geht runter. Und natürlich ist eine große psychologische Komponente dabei: Ich bin weg von meinem Alltagsstress. Ich habe im Wald diese niederschwelligen Reize, also eine angenehme Art an Abwechslungen um mich herum, Abwechslungen die mich nicht stressen, eine natürliche Umgebung, in der der Mensch sich wohlfühlt. All das zusammen macht das Thema Waldbaden aus. Und wenn ich jetzt im Wald zusätzlich Entspannungsübungen durchführe, dann habe ich als Waldbesucher richtig was davon.

Waldseiten: Das hört sich eigentlich recht einfach an. Braucht man eine Anleitung zum Waldbaden? Ist ein aufmerksamer Waldspaziergang schon so ein bisschen Waldbaden? Oder was ist das eigentliche „Geheimnis“ von Waldbaden?

Koller: Waldbaden ist mehr als ein normaler Spaziergang. Waldbaden-Erlebnisse werden oft mit Achtsamkeitsübungen untermauert. Achtsamkeit ist etwas, das kann man lernen, aber nicht jeder lernt das gleich schnell. Das ist ein bisschen eine Typ-Sache: Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie einen Meditationskurs oder Meditationsübungen. Die einen lernen das quasi von alleine und brauchen nur wenige Unterstützung. Andere profitieren davon, angeleitet Übungen zu machen, um überhaupt hinein zu finden. Das heißt aber auch, wie bei der Meditation kann ich das lernen und später die Übungen alleine durchführen.

Waldseiten: Ist dieses Waldbaden für jedermann/-frau geeignet?

Koller: Prinzipiell ja, es gibt aber ein paar Ausnahmen: Beim Waldbaden sprechen wir immer von der Gesundheitsprävention. Das heißt, derjenige, der das betreibt, ist gesund und möchte verhindern, dass er krank wird. Wenn ich jetzt allerdings schon krank bin, gibt es Erkrankungen, bei denen es besser wäre, wenn ich mit meinem Arzt oder Therapeuten vorher abkläre, ob sich Waldbaden für mich eignet, weil auch unerwünschte Effekte auftreten können.

Waldseiten: Unerwünschte Effekte? Ich könnte mir vorstellen, dass manch einer vielleicht, wenn er bereits psychisch angegriffen ist, Probleme in einem relativ dunklen Wald bekommen könnte… Sprichst du gerade so etwas an?

Koller: Ja, zum Beispiel. Man darf nicht vergessen, dass Menschen auch Ängste im Wald empfinden können. Beispielsweise wenn man sich abseits der Wege bewegt, abseits der Zivilisation oder in einem dunklen engen Wald. Da können einem auch Ängste begegnen und da können natürlich auch Reaktionen hervortreten, die Waldbaden-Erfahrungen nicht entspannend und positiv wirken lassen.

Waldseiten: Wir hatten gerade eine Waldseiten-Folge über den „Wald im Märchen„. Da geht es auch genau um diese unterbewussten, unbewussten Ängste, die oft auch durch Wald ausgelöst werden können oder mit dem Wald seit Jahrhunderten verbunden sind.
Kommt denn eigentlich jeder Wald für Waldboden infrage oder gibt es Wälder, die vielleicht besser oder schlechter geeignet sind für`s Waldbaden?

Koller: Prinzipiell kann man Waldbaden überall machen. Aber wie du schon gesagt hast, es gibt manche Wälder, die sich nicht so gut eignen: Z.B. ein Wald in einer extrem steilen Lage im Gebirge ist eher etwas zu sportlich. Da achtet man auf die Schritte, aber nicht mehr auf den Wald. Da entspannt sich der Durchschnittsbürger vermutlich nicht so sehr, wie wir es gerade schon gesagt hatten. Als nicht so gut geeignet werden dunkle Wälder die Ängste hervorrufen könnten genannt. Ansonsten ist es auch so ein bisschen eine Frage der persönlichen Präferenz.

Waldseiten: Ihr habt am Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik Befragungen bei Waldbesuchern gemacht: Welche Wälder sind bei Waldbadenden oder einfach nur bei Erholungssuchenden besonders beliebt?

Koller: Tatsächlich war es auch hier die Abwechslung, die für viele eine ganz große Rolle spielt, wenn man nach dem idealsten Wald sucht: Abwechslung im Wald durch ein Spiel zwischen Licht und Schatten, durch verschiedene Baumarten, verschiedene Sinneseindrücke die ich wahrnehmen kann. Unterm Strich muss man aber auch dazusagen, dass ein sehr wichtiger Faktor ist, wie der Wald für mich verfügbar ist? Komme ich da auch hin? Die Ruhe, also die Abwesenheit von Störungen, spielt ebenfalls eine extrem große Rolle.

Waldbaden: Wasser ist nicht nötig, dafür abwechslungsreiche Wälder mit unterschiedlichen Sinneseindrücken


Waldseiten: Das erste Mal habe ich von Waldbaden gelesen in einem Spiegel-Artikel. Vor ein paar Jahren wurde eine japanische Studie zitiert oder diskutiert, die Studie von der Nippon Medical School in Tokio. Bereits seit 2010 findet man von der Nippon Medical School immer wieder Forschungsergebnisse zum Thema Waldbaden, wie du sie bereits angesprochen hast. Über die positiven Wirkungen des Waldbadens: Die Wirkung auf die Psyche, zur Vermeidung und Linderung von Depressionen oder Burn-Out. Die Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System mit gesenktem Puls und niedrigerem Blutdruck und vielem mehr. Werden diese Effekte in unserem Gesundheitssystem in irgendeiner Form gezielt genutzt?

Koller: Es gibt Therapeuten, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten oder Heilpraktiker, die den Wald als Therapieraum nutzen. Auch verschiedene Institutionen haben schon erkannt, dass das ja eigentlich eine schöne Sache ist, um Angebote zu erweitern. Man merkt aber für den Präventiv Bereich, also von Seiten des klassischen Waldbadens mit Gesunden, dass hier der Wunsch groß ist, dass diese präventiven Leistungen von den Krankenkassen bezuschusst werden können. Also Waldbaden auf Rezept, so ähnlich wie man das vielleicht vom Yoga-Kurs kennt.

Waldseiten: Ich habe gelesen, dass es in Japan so etwas tatsächlich schon gibt. In Japan gibt es Waldbaden auf Rezept, vielleicht ja auch demnächst irgendwo in Deutschland?

Koller: Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch die Krankenkassen diesen Trend durchaus mitbekommen haben. Da muss man mal schauen, wie sich das entwickelt.

Waldseiten: Spannend. In Deutschland gibt es für den Wald verschiedene Schutz-Kategorien: es gibt Schutzwälder für Lawinen, es gibt Erholungswälder. Da könnte man sich doch vorstellen, dass es vielleicht einmal sowas wie Gesundheitswälder gibt. Gibt es solche speziellen Wälder vielleicht schon? Oder ist so etwas im Kommen?

Koller: Ja, tatsächlich wurden in Deutschland an verschiedenen Orten schon Kur- und Heilwälder ausgewiesen. Der erste ist vor ein paar Jahren in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt worden und auch z.B. in Lahnstein wurde im letzten Jahr einer ausgewiesen worden. Auch hier in Bayern läuft an der Ludwigs-Maximilians Universität München ein Projekt, das gemeinsam mit dem Heilbäder Verband Kur- und Heilwälder in Bayern ausweisen möchte.

Waldseiten: Als ich für unser Gespräch recherchiert habe, bin ich über ein paar ganz nette Sachen rund um das Waldbaden gestolpert. Besonders gut hat mir der Slogan „Waldbaden, Baden ohne Handtuch“ gefallen. Sehr bildlich. Was ist dir denn Nettes oder Spannendes aufgefallen rund um das Thema Waldbaden?

Koller: Ich hatte das Glück und durfte ganz viele Befragungen durchführen. Mit Leuten, die Waldbaden anbieten, aber auch mit Vertretern der Forstbranche, mit Förstern. Das war wunderbar und interessant und ich habe sehr viele nette Gespräche geführt. Eine Sache ist mir dabei immer wieder aufgefallen. Gerade am Anfang, als der Trend noch nicht ganz so verbreitet war, gab es aus der Forstbranche hin und wieder mal die Befürchtung „Waldbaden, das ist vielleicht etwas extrem Esoterik behaftetes“. Auf der anderen Seite habe ich mit Leuten aus dem Waldbaden-Szene gesprochen. Die sagten „Ja, wir haben ein bisschen Sorge, dass alle denken, wir sind so extrem Esoterisch“. Das sind so ein bisschen Berührungsängste, bei denen ich ein bisschen schmunzeln musste. Beide Gruppen haben ja eigentlich eine total tolle Gesprächsgrundlage, beiden liegt der Wald am Herzen. Ich bin deswegen eigentlich sehr optimistisch, dass diese verschiedenen Branchen gut zusammenfinden.

Waldseiten: Liebe Nancy Koller, ich bedanke mich ganz herzlich bei dir für dieses Waldgespräch.

Quellen