Mistkäfer – Recyclingservice inklusive
Klein, schwarz und ein Feinschmecker der eher abstoßenden Art. Doch das ist längst nicht alles, rund um den Mistkäfer gibt es mehr zu erzählen, als man denkt. In unseren Wäldern weit verbreitet sind der Waldmistkäfer (Anoplotrupes stercorosus) und der Gemeine Mistkäfer (Geotrupes stercorarius). Der Fokus liegt in diesem Artikel auf dem Waldmistkäfer, jedoch mit Blick darauf, was es rechts und links des Weges rund um diese sechsbeinigen Dung-Fans aus der Überfamilie der Scarabaeoidea zu entdecken gibt.
Glänzende Ansichten
In Sachen Systematik bilden die Mistkäfer eine eigene Gattung (Geotrupes). Bei uns in Mitteleuropa findet man 10 – 11 verschiedene Mistkäferarten. Bei genauer Betrachtung sind die knapp unter 2 cm großen Käfer (12 – 19 mm) auf den zweiten Blick nicht nur schwarz und unscheinbar. Von der Sonne bestrahlt, schillern Mistkäfer auf ihrer Ober- und Unterseite in unterschiedlichen Farbtönen: grün, violett, bläulich. Schillernde Panzer gibt es im Insektenreich des Öfteren. Ein einheimisches Beispiel sind die Rosenkäfer, wie der grün metallisch glänzende „Großen Rosenkäfer“. Dieses metallische Glänzen kommt von den Feinstrukturen des Chitins auf den Flügelplatten und auf der Unterseite der Käfer: Alle Insekten haben eine feste Außenhülle, ein Exoskelett – es trifft sozusagen der Spruch zu: „Harte Hülle, weicher Kern“. Dieses Außenskelett, Cuticula genannt, besteht bei den Käfern vor allem aus Fasern aus Chitin, einem Material mit ähnlichen Eigenschaften wie Zellulose.
Die oberste Panzerschicht besteht nun eben auch beim Waldmistkäfer aus einer sehr feinen, regelmäßigen Anordnung aus winzigen Chitin-Blättchen oder Fasern. Die Rede ist hier von superkleinen Strukturen im Nanobereich (1 Nanometer = Milliardstel Meter=10−9 m). Diese sind so gleichmäßig geschichtet und regelmäßig zueinander versetzt, dass sich das Licht darauf bricht oder gestreut wird. Die Anordnung der Chitin-Blättchen oder Fasern und deren gleichmäßiger Versatz zueinander sorgen dafür, dass dann jeweils genau eine Farbe reflektiert wird und unser Mistkäfer so bunt schillert.
Der Waldmistkäfer ist nicht nur äußerlich auffälliger, als es scheint, er kann sogar singen. Doch zuvor zum genaueren Erscheinungsbild des Sechsbeiners: Der „Anoplotrupes stercorosus“ bleibt mit sinen 12 – 19 Millimeter Länge etwas kleiner als der „Gemeine Mistkäfer“. Schaut man genau hin, so haben beide Käferarten oben auf jeder ihrer Deckflügel sieben gepunktete Längsreihen. Unterscheiden kann man die beiden Arten beispielsweise über ihre Halsschilder: Der Gemeine Mistkäfer hat rechts und links eine Delle im Halsschild, ansonsten bleibt sein Halsschild gleichmäßig glatt. Beim Waldmistkäfer wird dieses Halsschild rund herum von einem Rahmen eingefasst. Es zeigt sich nicht glatt, sondern voll kleiner, gepunkteter Ziselierungen.
Einmal auf seinem Rücken liegend, tut sich der Waldmistkäfer zwar relativ schwer, wieder auf die Füße zu kommen, ansonsten krabbelt er alles andere als hilflos durch den Wald. Seine Beine sind mit Stacheln bewehrt und sein harter Panzer sichert ihn, so dass er gut geschützt ist. Gegen kleinere Angreifer setzt er sich durchaus zur Wehr.
Feinschmecker und Tatortermittler
Beheimatet ist der Waldmistkäfer in Wäldern ganz Europas bis maximal 2000 Höhenmeter. Besonders gern haben es die Mistkäfer, wenn ausreichend Unterholz im Wald ist – und natürlich genug Futter.
Wie der Name Mistkäfer schon sagt, freut sich ein Mistkäfer beispielsweise darüber, wenn seine Futter-Tafel mit einem Haufen Dung gedeckt ist. Mistkäfer können sehr gut riechen, auch über Strecken von bis zu zwei Kilometern hinweg. Die Entfernung ist kein Problem, denn die Mistkäfer sieht man zwar meistens auf dem Boden krabbeln, doch sie können natürlich fliegen und gelangen so überall hin, wo die Käfersensoren Vielversprechendes wahrnehmen. Über Geschmack lässt sich streiten, aber die Mistkäfer sind sich da weltweit recht einig:
Mistkäfer am liebst frisst, ein duftend Häufchen Mist.
Betrachtet man die Mistkäfer dieser Welt, so drehen etwa 20% der Arten Mistkugeln, wie der Skarabäus sacer in Ägypten oder der „Matte Pillendreher“ (Sisyphus schaefferi), der auch bei uns vorkommt. Die restlichen 80%, wie auch der Waldmistkäfer oder der „Gemeine Mistkäfer“, packen sich lieber kleine handliche Pakete und verfrachten diese nach und nach in ihre unterirdischen Kammern. Dabei verspeist der Waldmistkäfer nicht nur Dung: Pilze, faulende Pflanzenreste, Pflanzensaft, tote Insekten, Kot jeder Art – gerne auch von Menschen – und Aas sind echte Leckerbissen für Waldmistkäfer.
Aas: verwesendes, faulendes Fleisch… Dieser Vorliebe wegen wird der Mistkäfer an einer ganz besonderen Stelle wichtig und interessant: Mistkäfer können helfen, darüber Aufschluss zu geben, wie lange eine menschliche Leiche bereits im Wald oder Gebüsch liegt. Wird ein Toter gefunden, stützen sich Tatortermittler auf eine Vielzahl an Spuren und Indizien. Hin und wieder werden Fachleute aus dem Bereich der Forensischen Entomologie hinzugezogen. Die Forensische Entomologie ist ein Fachgebiet in der Gerichtsmedizin. Die Experten beschäftigen sich damit, was nach einem Todesfall die Zersetzungsprozesse durch Pilze, Bakterien, Fliegen oder Käfer über die Todesursache und den Todeszeitpunt aussagen. Der Waldmistkäfer ist oft massenhaft auf Waldleichen zu finden, meist jedoch erst nach ein paar Wochen, nach dem Todeszeitpunkt. Gruselig, aber aussagekräftig.
Auf das Ökosystem Wald bezogen bedeutet dieser Speiseplan, dass die Waldmistkäfer das Recyclingunternehmen des Waldes betreiben. Aas, Kot, verrottendes Pflanzenmaterial, alles wird nach und nach in die unterirdischen Gänge des Waldbodens verbracht. Der Mistkäfer räumt auf und führt dabei Nährstoffe zurück in den Boden.
Singend zum Liebesspiel
Apropos Boden, im Boden geht es bei den Mistkäfern hoch her und damit kommen wir zum Mistkäfergesang. Zugegebener Maßen handelt er sich hierbei nicht um Gesang, sondern vielmehr Protest-, Klage oder Beschwerderufe.
Sie können diese Rufe selbst einmal im Wald austesten. Nehmen sie einen Waldmistkäfer *vorsichtig* hoch und halten Sie ihn an Ihr Ohr. Mit ein bisschen Glück beschwert sich der Käfer bei Ihnen mit einem wütenden Zirpen.
Normalerweise kommt dieses Zirpen zum Einsatz, wenn sich Männlein und Weiblein zur Fortpflanzung treffen. Das Käfermännchen versucht seine Herzdame zu „bezirzen“ bzw. zu „bezirpen“. Werden die beiden Liebenden während ihres Liebesspiels getrennt, rufen sie einander sehnsuchtsvoll. Sind sich die beiden ihrer Sache einmal sicher, dann gräbt sich das Weibchen in die Erde ein und lockt das Männchen für die Fortpflanzung in ihre unterirdischen Gänge.
Außerdem scheinen sie bei Gefahr mit ihrem Zirpen Fressfeinde verwirren oder erschrecken zu wollen. Diese Lauterzeugung gibt er im Insektenreich immer wieder. Sie wird Stridulation genannt. Um Töne zu erzeugen, reiben die Käfer zwei bewegliche Körperteile gegeneinander. Die Mistkäfer können das sogar an zwei verschiedenen Stellen ihres Körpers. Einmal wird das Zirpen über das Streichen von Haarfeldern erzeugt, einmal über ein Reiben zwischen der hintersten Hüfte, bzw. dem hintersten der Ansatz der sechs Beinpaare (Hintercoxae) und dem Hinterteil unten (abdominaler Sternit). Wie bei einer virtuosen Geige, zieht der Käfer die sogenannte Schrillleiste über die Schrillkante und spielt so sein Lied. Beide, Männchen und Weibchen, geben Laute von sich.
Fürsorgliche Käfereltern
Im Übrigen zum Thema „Männchen und Weibchen“: Während der Fortpflanzungszeit im Frühling und Sommer bleiben die Käfer einander treu und leben monogam. Nach der Fortpflanzung kümmern sich beide Mistkäfer als fürsorgliche Eltern um eine erfolgreiche Brut. Gemeinsam legen sie lange Gänge an, die bis zu 70cm tief ins Erdreich führen können. Sie gräbt unten, er transportiert oben den Aushub weg. Die Tunnel der Mistkäfer sind wie die Röhrensysteme von Würmern wichtig für Belüftung und Wasserversorgung des Waldbodens.
Etwa 10cm unter der Erde legt das Mistkäferweibchen in einer Brutkammer ihre Eier ab. Die Kammern versorgt das Käferpaar zuvor bestens mit Futterkugeln, wie z.B. Dungknödeln. Zuletzt wird die Brutstätte sicher vor der Außenwelt verschlossen. Das Futter in den Gängen muss für ein Jahr reichen. Die Mistkäferlarven bleiben während des Winters als Larven unter der Erde. Erst im späten Winter oder Frühjahr verpuppen sie sich und schlüpfen im Laufe des Sommers. Erst nach einem Jahr Junggesellendasein, also fast zwei Jahre nachdem ihre Eltern sie als Ei gelegt haben, werden Mistkäfer geschlechtsreif und gehen auf Brautschau. Wenn alles gut geht, werden Mistkäfer zwei bis drei Jahre alt.
Feinde, Fama und Verehrung
Wenn alles gut geht… Der Mistkäfer selbst steht auf dem Speiseplan von Igel, Spitzmaus, Schlangen und Vögeln. Im Gewölle von Käuzchen sind immer wieder die unverdaulichen Panzer-Reste der Mistkäfer finden. Manchmal entdeckt man auf dem Bauch der Mistkäfer viele gelblich, rote Milben. Dieser Milbenbefall schadet dem Mistkäfer in der Regel nicht. Vielmehr handelt es sich dabei um das Wald-Taxi-Unternehmen für Milben, die sich von den Mistkäfern von einem Dunghaufen zum nächsten tragen lassen. Leider werden die behäbigen Gesellen immer wieder Opfer von Spaziergängern, Joggern, Rad- oder Autofahrern im Wald, wenn sie auf den warmen Waldwegen krabbeln und übersehen werden.
Im Mittelalter drohte den Mistkäfern von uns Menschen die Gefahr, zu abergläubischer Naturmedizin verarbeitet zu werden. Der Biologe Friedrich Netolitzky berichtet 1919 davon, wie Mistkäfer bei Hornhautentzündung und Augenüberdruck gepulvert in die Augen gestreut wurden. Scheintoten wurden Nussschalen mit Mistkäfern darunter an die Fußsohlen gebunden. „Der Reiz des Käfers durch seine kräftigen Befreiungsversuche soll „wunderbar munter“ machen“.
Spannend ist die Geschichte des afrikanischen Verwandten unserer Mistkäfer in Ägypten, des Scarabäus sacer. Der „Heilige Pillendreher“ wurde von den alten Ägyptern verehrt als Glücksbringer und Symbol der Schöpfung, der aufgehenden Sonne und der Wiedergeburt. In den Gräbern der Pharaonen finden sich zahlreiche Grabbeigaben in Form dieser Käfer als Schmuckstücke und als Siegel. Zeitweise dienten steinerne Abbildungen des Käfers dem Überbringen von königlichen Nachrichten.
Da der Scarabäus sacer als Nahrungsvorrat für seine Brut große Dungkugeln durch die Gegend rollt, wurden von den alten Ägyptern Parallelen gezogen zur Sonnenkugel, die über den Himmel zieht. Während der Käfer seine Kugeln im Erdreich versenkt, versinkt die Sonne hinter der Erde. Die Menschen beobachteten, wie die Käfer nachdem sie die Kugeln in ihre Bruthöhle gebracht hatten – zurück an der Erdoberfläche – verstarben. Wochen später wurden sie aus derselben Erdhöhle scheinbar wiedergeboren, wenn die jungen Käfer an die Erdoberfläche gelangten. Die Menschen gingen davon aus, dass es nur männliche Käfer gab, somit erschien die Biologie der Käfer wie eine Wiedergeburt aus sich selbst.
Zum Glücksboten wurden die Mistkäfer, da sie – immer wenn sich das Nilhochwasser ankündigte – auf der Flucht vor dem steigenden Wasser in die Häuser der Menschen krochen. Damit wurden sie zu den ersten Boten der bevorstehenden fruchtbaren Zeit am Nil.
Wenn Sie als Schmuckstück einen Scarabäus verschenken oder tragen, denken sie daran, heilig oder nicht, es bleibt ein Mistkäfer. Dem Wald bringt unser heimischer Waldmistkäfer auf jeden Fall Glück. Als Müllabfuhr, Recycling-Dienst und Luftschacht-Unternehmen ist er von nicht unerheblicher Bedeutung für ein gesundes Ökosystem im Wirtschafts- und Naturwald.
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