Wenn Stämme reden könnten…
Heute geht es um Äußerlichkeiten. Man sagt, auf die inneren Werte kommt es an. Doch auch über das Aussehen erfährt man eine ganze Menge über seinen Gegenüber, das gilt ebenfalls, wenn der Gegenüber ein Baum ist. Teilweise erzählen die Stämme der Bäume von Wind und Wetter, teilweise von Angriffen, Krankheiten oder von einem neuen Leben.
Wenn wir durch den Wald gehen, haben wir die Stämme der Bäume immer auf Augenhöhe. Vielleicht ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass fast jeder Stamm ein wenig anders ausschaut, als der nächste. In diesem Beitrag geht es um Bärte und Augen, das Wimmern von Bäumen, Drehungen, Knollen und einiges mehr. Baum ist nicht gleich Baum und geübte Waldbesucher entlocken dem Baum alleine auf Grund seiner Rinde erste Geheimnisse.
Stamm von Innen
Zunächst ein paar Hintergründe zum Baumstamm, um zu erklären, was man sieht, wenn von Stämmen die Rede ist: Wenn man einen Baum um schneidet, erhält man das bekannte Bild einer mehr oder weniger runden Stammscheibe mit Jahrringen. Im Mittelpunkt des Stammes befindet sich das Mark. Bei ausgewachsenen Bäumen ist dieses Mark meistens abgestorben. Um das Merk herum liegt das so genannte Kernholz, das im Wesentlichen aus mittlerweile toten Zellen besteht. Diese toten Zellen unterscheiden sich vom umliegenden „lebendigen“ Splintholz teilweise in Farbe und in einer höheren Festigkeit. Teilweise, denn Kernholz lässt sich nicht immer farblich vom umliegenden Splintholz unterscheiden, dann redet man manchmal von Reifholz statt von Kernholz. Außerdem gibt es Bäume, die nur manchmal oder auch nie Kernholz ausbilden, dafür aber Farbpigmente einlagern, wodurch es so ausschaut, als ob….
Während das Kernholz zur Stabilität des Baumes beiträgt, übernimmt das Splintholz den Wasser- und Nährsalztransport und dient dem Baum als Speicher. Im Laufe des Wachstums lagert das Splintholz nach innen hin Kieselsäure, Gerbstoffe und Co ein und wandelt sich nach und nach in Kernholz um. Kernholz und Splintholz ergeben gemeinsam das so genannte Xylem.
Das Splintholz wird nach Außen hin vom so genannten Kambium umgeben. Das Kambium ist für das Wachstum der Bäume zuständig, genauer für das Dickenwachstum. Es sorgt dafür, dass die Baumstämme in ihrem Durchmesser immer breiter werden. Die Zellen des Kambiums teilen sich abwechselnd nach innen und außen, so dass einerseits nach innen Splintholz gebildet wird und andererseits nach außen Bast. Bei der Bildung des Splintholzes aus dem Kambium entstehen die bekannten Jahrringe. Das Wachstum aus der Kambiumschicht ist je nach Außentemperatur und je nach Verfügbarkeit von Wasser und von Nährstoffen unterschiedliche stark ausgeprägt. Im Frühjahr und Sommer bilden sich schnell viele größere Zellen, im Herbst und Winter nimmt das Wachstum ab, die Zellen werden kleiner und dunkler. Im Laufe der Jahre produziert das Kambium entsprechend ein ringförmiges Muster aus hell und dunkel. Außerdem bildet das Kambium Markstrahlen aus. Markstrahlen wiederum dienen als Leit- und Speicherzellen von Zucker und Stärke zwischen dem Inneren des Baumes und der Bastschicht außen. Die Bastschicht (auch Phloem genannt) leitet Zucker und Aminosäuren. Im Frühling führt die Bastschicht, also in der Zeit des Blattaustriebs, besonders viel süßen Saft, Birken beispielsweise leiten bis zu 70 Liter pro Tag davon durch den Bast. Bei Birken kann man diesen Saftfluss übrigens sogar hören. Dazu benötigen Sie ein Stethoskop, das Sie an die Rinde des Baumes halten. Beim Ahorn ritzt man die Bastschicht an, um an den heißbegehrten Zuckersaft, an den Ahornsirup heranzukommen.
Um die Bastschicht herum entsteht aus der Bastschicht die Schutzschicht des Baumes, die Rüstung, die äußere Verteidigungsschicht: Die Rinde. Alleine aus der Rinde lässt sich einiges Herauslesen, wie zum Beispiel die Baumart. Einige Baumarten erkennt man sofort auf Grund ihres Stammes.
Quizz für aufmerksame Stammfreunde
- Welche Baumart zeigt einen schwarz weißen Stamm? – die Birke
- Welche Baumart hat eine leicht glänzende Rinde, die von oben bis unten mit Querstreifen übersäht ist und blüht im Frühling wunderschön? – die Kirsche.
- Welcher Nadelbaum ist unten dunkelbraun und wird weiter oben am Stamm fuchsrot?- die Kiefer.
- Welche Baumart hat eine silbergraue Rinde, eher glatt, mit Längs- und Querstreifen aus lauter dunklen rautenförmigen Punkten? – die Zitterpappel.
- Silbergraue Rinde, glatt der Stamm ansonsten eher rund und wenig strukturiert? – die Buche. (Silbergrau wäre beispielsweise auch die Hainbuche, die aber im Stamm längsgezogene Einbuchtungen und Strukturen zeigt und sich dadurch gut unterscheiden lässt.)
Man könnte dieses Quizz noch weiterführen, aber Sie haben sicher erkannt, alleine auf Grund der Farbe der Rinde, ihrer Struktur und weiterer Merkmale, wie z.B. Lentizellen kann man Bäume an Hand des Stammes unterscheiden. Lentizellen, das sind bei der Kirsche, Pappel oder Grauerle die Strukturen aus Längs- und Querrillen und Rauten. Es handelt sich hierbei um Öffnungen in der Rinde, die für den Gasaustausch zuständig sind, also die Atmung des Baumes.
Ein wenig aufpassen sollte man bei der Baumbestimmung über die Rinde, denn junge Bäume haben oft noch eine glatte Rinde, während die Rinde im Alter oder bei anderen Standortbedingungen eine dicke spaltige oder schuppige Borke bildet, wie z.B. der Ahorn.
Schlafende Augen
Manchmal wachsen dort, wo eigentlich Stamm sein sollte, dünne Ästchen, fast so, als könnte sich der Baum nicht ganz entscheiden, ob dort der Stamm- oder der Astbereich ist. Meist sind diese Ästchen relativ lang und dünn und weniger verästelt als die eigentlichen Zweige. Das Geheimnis dieser dünnen Reiser am Stamm? Es handelt sich um sogenannte Wasserreiser, Wassertriebe oder auch Geiltriebe genannt. Diese Triebe können zuweilen etwas ärgerlich sein: Diese Triebe mindern die Holzqualität, sie werden im Holz als Holzfehler sichtbar, entsprechend erzielen diese Stämme niedrigere Holzpreise.
Eigentlich handelt es sich bei den Wasserreisern um eine faszinierende Überlebensstrategie des Baumes. Bäume reagieren mit dem Austreiben einerseits darauf, dass sich ihre Umgebung verändert hat, beispielsweise wenn sich die Lichtverhältnisse im Waldbestand wandeln. Manche Bäume bilden die Triebe, wenn in ihrer Nachbarschaft ein Baum fehlt und sie deshalb mehr Licht bekommen. Das ist die Gelegenheit für mehr Blätter, entsprechend werden rasch die schlafenden Knospen „aufgeweckt“ und Triebe mit Blättern gebildet. Im Umkehrschluss heißt das, dass alle die einen Wald pflegen und bewirtschaften aufpassen müssen: Wenn aus einem Waldbestand Bäume oder größere Äste entnommen werden, kann es passieren, dass die Nachbarbäume solche Reiser bilden.
Survival-Strategen
Andererseits wird diese Fähigkeit Reiser zu bilden überlebenswichtig für die Bäume, wenn sie Verletzungen haben. Nehmen wir den Extremfall: Der Sturm bricht einer Linde die Krone. Man könnte meinen, das wäre das traurige Ende unserer Linde, doch wenn alles gut geht, ist es nicht das Ende, sondern der Startschuss zum zweiten Leben der Linde. Die massive Verletzung weckt die schlafenden Augen und regt die Neubildung von Knospen unter der Rinde an. Diese bilden aus dem Stamm heraus im Laufe der kommenden Jahre eine vollkommen neue Krone – wie gesagt, wenn alles gut geht. Reiteration ist das Fachwort für diese Fähigkeit der Bäume aus ihren Trieben Sekundärkronen, also Zweitkronen, zu bilden.
Es gibt zwei Formen der Reiteration: Einerseits so genannte „Proventivknospen“, die schlafenden Augen. Sie sitzen jahrelang unter der Rinde, wachsen immer mit dem Baum mit und sind von außen meist nicht zu erkennen. Sie sind so etwas wie der „Plan B“ des Baumes wenn es zu größeren Verletzungen kommt.
Auf der anderen Seite gibt es spontan gebildete Knospen. Diese adventiven Kospen (von lateinisch „advenire“, ankommen oder hinzukommen), werden direkt aus dem Kambium gebildet. Die erfolgt ebenfalls zur Wundversorgung und um den Baum an geänderte Umwelteinflüsse anzupassen. Den Auslöser zur Bildung der Adventivkospen geben Phytohormone – die Signalstoffe der Pflanzen – genauer die so genannte Auxine. Diese sind wiederum speziell für das Wachstum verantwortlich.
Übrigens, die Fähigkeit Adventivknospen zu bilden, ist auch das, was wir nutzen, wenn wir im einen abgeschnittenen Trieb einer Pflanze ins Wasser oder in die feuchte Erde stecken und daraus eine selbstständige Pflanze ziehen. Bei manchen Pflanzen klappt das schlechter, bei manchen besser, so ist es auch beim Thema Wasserreiser: Besonders gut können das Ahorn, Eiche, Esche, Linde, Pappel, Ulme, aber auch Nadelbäume wie die Lärche oder Tanne.
Zur Reiteration zählt übrigens auch die Fähigkeit, aus einem Seitenast einen Leittrieb, also einen neuen Hauptstamm zu bilden. Ab und zu beobachtet man in Wald Bäume, die durch einen ungewöhnlichen Knick im Hauptstamm auffallen. Es kann sein, dass hier z.B. nach einer massiven Verletzung, ein ursprünglich waagrechter Seitenzweig das Kommando übernommen hat und zum senkrechten Leittrieb wurde. Bei Bäumen, die der Sturm teilweise umgeworfen hat – so dass die Wurzeln noch Bodenkontakt haben – kann man zuweilen beobachten, dass nun anstelle der liegenden Krone mehrere neue Hauptstämme mit Kronen senkrecht nach oben wachsen.
Interessanter Weise sind genau die Bäume besonders gut in Reiteration, die in der Lage sind so richtig alt zu werden, denken Sie an die 1000 jährigen Linden oder Eichen. Nur so können sie allen Widrigkeiten und äußeren Einflüssen zum Trotz überleben.
Teurer Krebs
Um das pure Überleben geht es auch bei unserer nächsten Stamm-Geschichte. Haben Sie schon mal gesehen, dass an einem Baumstamm ein großer Knubbel oder Wulst wächst, oder sogar mehrere Wülste? Aus dem Stamm heraus scheint etwas herauswachsen oder sogar herausbrechen zu wollen. Manchmal halbrund, manchmal zerfurcht und zerrissen, ein richtiges Geschwür. Ja, auch Bäume können Geschwüre haben, genauer handelt es sich hierbei um Baumkrebs. Für Baumkrebs gibt es zweierlei Ursachen: Pilze oder Bakterien. In beiden Fällen sind über Verletzungen in der Rinde die Erreger in den Baum eingedrungen und treiben nun im Pflanzengewebe ihr Unwesen. Die infizierte Stelle verfärbt sich, die ursprünglich kleine Wunde wird immer größer. Der Baum versucht sich natürlich dagegen zu wehren: Am Stamm setzt massives Wundwachstum ein. dazu bildet der Baum so genanntes Kallusgewebe. Das Besondere am Kallusgewebe ist, dass eskeine feste Wachstumsrichtung hat sondern kreuz und quer wächst, Hauptsache die Wunde wird dadurch verschlossen.
Was jetzt beginnt ist ein Wettstreit, ein Kampf zwischen Krebserreger und Baumstamm. Die Bakterien oder Pilze geben alles und versuchen sich weiter ins Innere des Baumes durchzuarbeiten. Der Baum wiederum versucht den Schädling in den Griff zu bekommen und lässt weiter das Kallusgewebe wuchern – manchmal was das Zeug hält. Und der Gewinner? Der ist manchmal nicht so ganz klar, denn dieser Wettstreit kann Jahre, sogar Jahrzehnte dauern und entsprechend eindrucksvoll sind zuweilen die äußeren Zeichen dieses Baumkrebses.
Achtung, Baumkrebs kann ansteckend sein. Wer einen Baum mit Baumkrebs fällt, sollte seine Säge danach desinfizieren (bevor er sie beispielsweise später zum Entasten verwendet). Das Holz aus dieser Krebsinfektion, aus diesem ständigen Überwuchern ist bei Holzkünstlern durchaus beliebt, es lassen sich beispielsweise kunstvolle Schalen daraus drechseln.
Durch Bakterien wie das Bakterium „Agrobacterium tumefaciens“ entsteht so etwas Ähnliches wie Baumkrebs. Das Bakterium schleust Bruchstücke des eigenen Genoms in die Baumzellen ein und löst damit ein starkes Zellwachstum aus, es kommt zu großen knollenförmigen Wucherungen, so genannte Maserknollen. Maserknollen entstehen übrigens auch, wenn an einem Baum ein massives Austreiben von schlafenden Knospen stattfindet, oder sogar gezielt gefördert wird (vgl. oben). Diese Maserknollen haben oft ein wunderschönes Holz mit auffälliger Maserung.
Wenn ein Auto mit so genanntem „Wurzelholz“ verkleidet ist, sehen Sie in der Regel nicht unbedingt Wurzelholz, sondern das Holz aus einer Maserknolle. Beliebt sind Maserknollen auch für den Instrumentenbau, beispielsweise für die edle Decke eines Gitarrenkorpus.
Wertvolles Wimmern
Oder denken Sie an die Gestaltung mancher Geigen. Hier ist allerdings etwas anderes der Hingucker, ein Hingucker, der auch am Stamm sichtbar wird: der Wimmerwuchs. Wimmern klingt erst einmal tragisch, ist es bei manchen Baumarten jedoch ganz und gar nicht. Um zu verstehen, was Wimmerwuchs ist, können Sie sich ein Waschbrett vorstellen. So ähnlich sieht ein Stamm mit Wimmerwuchs aus. In senkrechter Richtung, von oben nach unten oder umgekehrt ist der Stamm gebändert, ein wenig so, also ob Wellen den Stamm hinauflaufen würden. Dieser Wimmerwuchs ist bei Baumarten wie der Tanne ein Holzfehler und unerwünscht, das Holz ist rissiger als fehlerfreies Holz.
Bei Ahorn, Birke oder Fichte kann diese Wuchsanormalität hingegen heiß begehrt sein als so genannter Riegelwuchs. Die manchmal sogar außen am Stamm sichtbaren Wellen setzen sich auch im Holz als dekoratives hell-dunkel Streifenmuster gut erkennbar fort. Das wellige, streifige Holz wird dann auf Grund der Optik und seiner hervorragenden Eigenschaften als Klangholz zu teuren Geigenböden verbaut oder als Furnier für besondere Möbelkunstwerke genutzt. Beispielsweise hat im Jahr 2012 eine deutsche Furnierfabrik aus Karlstadt 61.537 Euro für einen Riegelahorn aus einem nordfranzösischen Wald gezahlt.
Daran zeigt sich, wie selten und wie gesucht solche Riegelhölzer sein können. Etwa 2 – 5% der Bergahorne in Frankreich zeigen so einen Riegelwuchs, der aber nicht immer prägnant und hochwertig ausgeprägt ist. Woher dieses Wimmern bzw. dieser Riegelwuchs kommt, ist nicht eindeutig geklärt. Eine Quelle besagt, dass es sich hierbei um eine nicht dominante, als rezessiv vererbbare genetische Eigenschaft handeln könnte. Vielleicht sind es jedoch auch die Umwelteinflüsse, vielleicht wiederum einfach ein Mix aus mehreren Faktoren. Unabhängig von der Ursache, wie man es auch dreht und wendet, das was dabei rauskommt ist oft sehr ansprechend.
Völlig verdreht: Magische Stämme?
Wie man es „dreht und wendet“, ist das Stichwort für das nächste Stamm-Thema: Drehen und wenden können sich auch Stämme. Die Rinde zeigt dann einen fast schon spiraligen Verlauf, als ob sich der Baum einmal um sich selbst gedreht hätte, was er genaugenommen tatsächlich tut.
Eigentlich ist die Erklärung für Drehwuchs ganz einfach, zumindest wenn man esoterischen Sichtweisen Glauben schenken darf: Glaubt man verschiedenen Quellen im Internet, so handelt es sich bei Bäumen mit Drehwuchs um Bäume, die auf den Kreuzungspunkten natürlicher Energiefelder wachsen. Durch die Energie beginnen sich die Bäume förmlich zu winden und drehen sich. Andere Autoren beschreiben Wasseradern als Ursache. Bäume mit starkem Drehwuchs markieren zudem magische Orte und können als Schamanenbäume erkannt werden. Vielleicht haben Sie auch schon einmal von Ying und Yang aus der Chinesischen Philosophie gehört. Ying und Yang beschreiben Gegensätzlichkeiten, die wechselseitig aufeinander bezogen eine Gesamtheit ergeben, einen ewigen Kreislauf. Und so solle es eben auch Ying-Bäume und Yang Bäume zu geben, je nachdem, ob es sich um Stämme mit linksdrehendem oder rechtsdrehendem Drehwuchs handelt.
„Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt“
Hier die etwas wissenschaftlicheren Thesen zum Drehwuchs:
Fangen wir damit an, was Drehwuchs ist. Wenn Sie sich in der Mitte die Markröhre als Zentrum des Stammes vorstellen, dann wachsen die Holzfasern bei Drehwuchs in den Jahrringen nicht nur radial in senkrechter Richtung um die Markröhre herum, sondern spiralig. Tatsächlich schaut es ein wenig so aus, als ob jemand den Baum an der Krone gepackt und verdreht hätte.
Technisch gesehen ist der Wechsel aus Zug und Druckholz auffällig. Zunächst ein kurzer Exkurs zu Zug- und Druckholz: Wie Drehwuchs ist auch Zug- und Druckholz ist etwas, das von außen am Stamm sichtbar wird.
Ziehen und Drücken auf Biegen und Brechen
Stellen Sie sich einen Baum vor, der jeden Tag seines Lebens an exponierter Stelle im starken Wind steht, Wind aus gleichbleibender Richtung. Diese Bäume sind oft leicht schräg. Damit der Baum dennoch nicht abbricht und stabil stehen bleibt, reagiert der Baum mit einer Veränderung seines Holzes. Deshalb nennt man die Resultate aus dieser Reaktion auch Reaktionsholz. Auf der Seite, aus der der Wind kommt (die etwas längere Seite), sieht es so aus, als ob ein Ziehen (Zug) auf den Stamm wirkt. Auf der anderen Seite wird der Baum tatsächlich zusammengedrückt, es wirkt Druck. Somit bildet sich auf der einen Seite des Baumes Zugholz, auf der anderen Druckholz. Chemisch gesehen weist Druckholz beispielsweise einen höheren Lignin-Gehalt auf und ist dichter als „normales Holz“. Auch in der Farbe gibt es Unterschiede: In der Regel ist Druckholz (je nach Baumart) etwas dunkler, wie bei der Fichte, hier ist das Druckholz rötlicher. Zugholz hingegen ist heller und hat einen höheren Anteil an Cellulose eingelagert, es weist ein höheres Quellverhalten auf. Dafür besticht es durch eine höhere Zugfestigkeit. In Sachen technische Verwendbarkeit sind Zug- und Druckholz problematisch, für den Baum und seine Stabilität jedoch absolut wichtig.
Tanzen dank Genetik und Wind
Zurück zum Drehwuchs. Im Stamm der Drehwüchsigen Bäume wechseln sich im Prinzip Zug- und Druckholz ab. Erklärungen für Drehwuchs gibt es verschiedene. Einerseits finden sich Bäume mit einer stärkeren genetischen Veranlagung zum Drehen, untersucht wurde dies z.B. bei der Rotbuche. Da sich drehwüchsiges Holz für das Gros der technischen Anforderungen schlechter eignet, finden sich Empfehlungen, möglichst aus drehwüchsigen Buchen keine Naturverjüngung zu fördern. Unter Umständen zieht man ansonsten fröhlich drehende Buchenbestände groß.
Doch längst nicht alles lässt sich durch die Genetik erklären, Umwelteinflüsse liefern die andere Begründung. Wenn Bäume auf Grund ihres Wachstums hin zum Licht eine ungleichmäßige Krone ausbilden, bietet dies dem Wind Angriffspunkte. Der Wind wirkt wie an einem Hebel auf den Baum. Der Stamm bildet darauf hin gegen den Wind einerseits Zug- und Druckholz und andererseits beginnt er sich über die Jahre hinweg zu drehen. Die Krone entwickelt sich gleichzeitig stetig hin in Richtung Lichtlücke, womit der Hebel aufrechterhalten bleibt. Ergebnis sind um sich gewundene Bäume, wie hölzerne Prima-Ballerinas, die ihre Pirouetten drehen.
Bärtige Stämme
Manchmal können Bäume richtig menschlich wirken, vor allem wenn die Stämme plötzlich mit Augen und Bärten in den Wald blicken. Was bei uns Menschen jedoch zweierlei Körpermerkmale sind, ist bei den Bäumen Indiz für ein und dasselbe: Für eingewachsene Äste. Die meisten Bäume verlieren, während sie in die Höhe und Breite wachsen, im unteren Teil des Stammes ihre Äste. Manche Bäume betreiben sogar aktiv die so genannte „Astreinigung“. Wenn Bäume etwa in klarer Konkurrenz zueinander wachsen und vorwiegend nach oben streben, um an Licht zu kommen, dann brauchen Sie die Äste im unteren Bereich (im Schatten) nicht mehr. Die Schattenäste sterben ab und werden abgeworfen. In der Waldwirtschaft wird dieses Verhalten aktiv genutzt, indem man Bäume gezielt in einer Konkurrenzsituation zueinander aufzieht. Damit wachsenmöglichst lange Stammabschnitte früh astfrei und somit fehlerfrei.
Zurück zu den Augen und Chinesenbärten. Bei Laubbäumen, wie etwa der Buche, wachsen die Kronenäste relativ senkrecht, schräg nach oben. Wenn ein Ast abfällt, wird der verbleibende Stumpf überwachsen. Nach und nach bleibt nur mehr eine Astnarbe zurück, die teilweise das Aussehen eines Auges oder eines langen, dünnen Chinesenbartes bzw. eines so genannten „Fu Manchu Bartes“ erlangt. Durch das Breitenwachstum des Baumes wird die Astnarbe nach und nach überwachsen und gleichzeitig verzerrt. An der Länge des Bartes lässt sich somit ablesen, wie tief der ehemalige Ast sitzt. Letztlich bleibt nur mehr ein waagrechter Schlitz, wie ein zusammengekniffenes Auge. Gleichzeitig sind diese Augen und Bärte für den Holzhandel ein wichtiges Indiz in Sachen Wert eines Stammes. Möglichst große astfreie Abschnitte ohne eingewachsene Totastreste bringen eine höhere Holzqualität und damit höhere Preise.
Holzauge sei wachsam
Ein passendes Thema am Rande: Als „Augen“ werden auch die Holzfehler auf Grund solcher Totholzäste in Brettern und Latten genannt. Es wird sogar gemutmaßt, dass das Sprichwort „Holzauge sei wachsam“ daher kommt, dass diese Reste toter Äste aus den Latten herausfallen können. Dank der entstandenen Astlöcher oder „Holzaugen“ wird so mancher undurchsichtige Zaun plötzlich durchlässig für wachsame Augen und spähende Blicke von der anderen Seite.
Stämme in Not
Stämme erzählen uns noch viele andere Geschichten. Sie zeigen auf, ob der Baum gesund ist oder ein Problem hat. Hier ein kleiner Ticker über Krankheiten und Schädlinge, die sich am Stamm ablesen lassen.
- Findet man am Fuße, in den Astachseln oder Spinnweben von Fichten beispielsweise rotbraunes Bohrmehl, so ist dies ein sicheres Zeichen auf den Befall des Baumes mit Borkenkäfern. Gleiches gilt, wenn die Fichte kleine Löcher in der Rinde und einen starken Harzfluss außen an der Rinde zeigt.
- Höchste Vorsicht ist auch geboten, wenn an Laubbäumen plötzlich ca. 1cm große Einbohrlöcher zu erkennen sind. Der Asiatische Laubholzbockkäfer bohrt sich mit sichelförmigen Einbohrlöchern in das Bauminnere hinein und eine Handbreit darüber oder darunter mit kreisrunden Löchern aus dem Baum heraus. Haben Sie den Verdacht, dass dieser über Paletten und Container aus Asien zugereiste Neobiont in Ihren Bäumen sein Unwesen treibt, sollten Sie dringend Experten hinzuziehen.
- Ist an Ahornbäumen die Rinde aufgeplatzt und das Innere dunkel – schwarz verfärbt ist zu befürchten, dass der Baum mit der Pilzerkrankung „Rußrindenkrankheit“ zu kämpfen hat. Achtung, die schwarzen Pilzsporen führen bei uns Menschen zu Atemproblemen, also besser Abstand halten.
- Bei der Kiefern und Fichten kann man hin und wieder seltsame Knicke und Kurven im und danach zurück auf der ursprünglichen Position einfach weitergewachsen wäre. Diese Verformung nennt sich „Posthornwuchs“ und deutet darauf hin, dass durch Insektenfraß oder beispielsweise hungrige Rehe der Haupttrieb eines Baumes verletzt wurde.
- Wie ein Baum, der in einen Spitzer geraten ist, sehen Bäume in der Nähe von Gewässern aus, die den Hunger und der Baulust des Bibers zum Opfer gefallen sind. Der Biber will übrigens gar nicht den Stamm – höchstens ein wenig Rinde – er will die Krone mit ihren leckeren Zweigen, Knospen und Blättern. Da er nicht klettern kann, muss das, was oben ist nach unten – der Baum wird gefällt.
Stämme hinterlassen Spuren
Rund um die Stämme gibt es noch vieles mehr zu entdecken, wie forstwirtschaftliche Markierungen auf Stämmen oder das zweite Leben stehender Totholzbäume. Nicht jeder Baum wandert am Ende seines Lebens ins Sägewerk um uns als Balken, Möbel, Papier oder ähnliches wieder zu begegnen. Ein Teil der Bäume bleibt im Wald, bis er völlig zersetzt ist. Doch bis von ihm nichts mehr übrig ist, wird er von Specht, Siebenschläfer oder Fledermaus bewohnt: Dient als Futter und Unterschupf für Insekten. Ist das Feinschmeckerrestaurant verschiedener Pilze (dazu demnächst ein eigener Waldseitenbeitrag).
Prinzipiell erzählen uns Stämme vieles aus dem Leben der Bäume. Ihre Fehler und Schäden sind manchmal unerwünscht, manchmal heiß begehrt. Manchmal bleiben Stämme im Wald bis von ihnen nichts mehr zu sehen ist, eine lebendige Heimat von Pilzen, Insekten, allerlei Organismen. Manchmal wärmen uns Stämme als begehrtes Brennholz. Stämme halten die Dächer unter denen wir schlafen und die Wände, an denen unsere Familienfotos hängen. Wir erfreuen uns über Möbel und Kunstwerke aus Stämmen und den Klang vibrierender Holzinstrumente. So erzählen Stämme über ihr Leben im Wald hinaus ihre Geschichten und hinterlassen ihre Spuren.
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